Es gibt Künstler, die von panischer Angst besessen sind, solange sie vor dem leeren Blatt, der leeren Leinwand stehen, solange bis sie den ersten Strich, die erste Farbmarke gewagt haben. Bei Roland Hotz, nehme ich an, ist eher das Gegenteil der Fall: für ihn, umstellt von geistigen Vaterfiguren, aber auch von Müttern, gilt es vor solchen lastenden Vorbildern in erster Linie sein Eigenes zu behaupten und zu entfalten. Denn Hotz gehört der dritten Generation der sogenannten  Zürcher Schule an. Diese hat als geschlossene Richtung in Wahrheit nie existiert, aber einzelne klingende Namen belegen, dass sie doch mehr als ein Gerücht ist. Ich nenne ausschliesslich Vertreter der ersten Generation: Hans Aeschbacher, nur bedingt Max Bill, Hans Fischli, Oedön Koch, Rosa Studer-Koch  – für Hotz vor allem Otto Müller (1903 bis 1993), als dessen Schüler er sich betrachtet. Wenn diese Individualisten auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sein sollten, dann ist es erstens die Wahl des Werkstoffes, die Entscheidung nämlich, überwiegend am Stein zu arbeiten; dann ist es zweitens, dass diese erste Generation der sogenannten Zürcher Schule in den fünfziger Jahren zur sogenannten Ungegenständlichkeit vorgestossen ist, das heisst, sich von der Menschenfigur verabschiedet hat, um statt dessen Elementarformen wie Quader, Würfel, Pyramide, Spirale und Kreis hinzustellen und zu gestalten. Roland Hotz hat an dieser <Geometrie> (das Wort in Anführungszeichen!) weiter gearbeitet, dabei lohnende Variationen und Abweichungen entdeckt; so gestattet er sich häufig, aufragende Formen wie Quader, Prisma, Stele in Schieflage zu bringen. Darüber hinaus hat er jenes Repertoire der Elementarkörper etwa um die Zuckerstock-Form oder um ein Gebilde erweitert, das an den Rückgrat eines Reptils erinnert.

Hotz dient die Überzeugung, dass das Bearbeiten des Steins heute einer Absurdität gleichkomme, als Voraussetzung: seine Kunst hat dem Überhandnehmen von Objektmontage, Foto, Video, Konzept-Art zu widerstehen. Das Gute Handwerk, das Streben  nach Perfektion, wie es vor allem Constantin Brancusi bis zum Exzess betrieben hatte und wie es noch bei der Zürcher Schule der Ersten Stunde herum geisterte, durchschaut er als blosse Krücken. Der Künstler, hat der grosse Basler Museumsmann und Kunsttheoretiker Georg Schmidt gefordert, müsse eine Antwort zur Zeit geben. Wie lautet die Antwort zur Zeit, die uns Hotz geben kann? Er antwortet, indem er die Geschichte seiner Steine an diesen selbst formal und strukturell zum Ausdruck bringt.       

Geschichte, gewöhnlich auf das Treiben der Menschen und Völker bezogen, kann hier bedeuten: den Druck, den das Erdinnere, den Einfluss, den Wind, Wasser und Wetter auf den Stein ausüben, die Beschädigungen, die an ihm entstehen, wenn er aus dem Steinbruch gelöst wird – alle diese Kräfte, die ihn mitformen oder bedrohen, sind an ihm selbst sichtbar; Hotz muss sie da nur noch frei legen, deutlicher hervor holen. Es geht ihm in der Tat nicht um Formvollendung, sondern um Ehrlichkeit. Das Leiden des Steins, seine Wunden, das Fragmentarische sind hervor zu heben, bruchrohe Gräte sind zu belassen oder zu betonen. 

 Seit Jahrzehnten ist der Begriff Dekonstuktion des Philosophen Jacques Derrida ein Schlüsselwort – auch für die Künste. De-Konstruktion meint keinesfalls einfach <Auflösung>,<Zerstörung>, sondern einen dialektischen Prozess – und jetzt werde ich um der Vereinfachung willen populistisch – sondern auch <Restrukturierung>, <Neuorientierung>, wie wir es auch etwa seit dem Jahr 2000 bei Hotz beobachten können: an seinen Steinen erscheinen das Fragmentarische, Wunde und Abbruch als strukturelles Moment; der Kratzer wandelt sich zur Schmucknarbe, zum Ornament, zur Rillung, zu Falte und Fältelung. Das Museum Rietberg mit seinen Zeugen exotischer und primitiver Kulturen sei ihm eine häufig besuchte Inspirationsquelle, hat mir Hotz mitgeteilt.   

Dekonstuktion spielt sich bei Hotz auf der Oberfläche des Steins ab. Er verlagert sein Gestalten vom Volumen auf dessen Haut, wo es als Relief in Erscheinung tritt. <Häute> nennt sich eine ganze zwischen 2000 und 2004 entstandene Werkgruppe, und <Haut> heissen ebenfalls zwei von Hotz bearbeitete Felsbrocken, von denen der grössere 3, 5 Meter hochragt. Für Hotz ist der Werkstoff oder das Werk Körper, Leib, Organismus, gerade auch in seiner Verletztheit. Die Haut, sollten wir nicht vergessen, ist unser grösstes Organ und obwohl Oberfläche erweist sie sich als  unser Tiefstgründiges. Oder auf Französisch, denn diese Erkenntnis stammt von Paul Valéry

            Ce qu’ il y a de plus profond, c’est la peau.

 

Dr. Fritz Billeter ist Kunstkritiker und Publizist und war von 1971-1995 Kulturredaktor beim Zürcher Tages-Anzeiger

 

 

 

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